"Disruption ist nur ein Schlagwort. Bis sie zuschlägt." So textet das erste Inserat der Axel Springer-Tochter hy in der Welt am Sonntag.

Als CEO von hy amtet Christoph Keese, Bestsellerautor von "Silicon Valley", "Silicon Germany" und "Disrupt Yourself" und war vor vier Jahren Gast meiner Focus on Future-Abendveranstaltung "Was Unternehmer vom Silicon Valley lernen können und was besser nicht". Keese ist Experte, wenn es um die zerstörerischen Veränderungen bestehender Geschäftsmodelle geht. Als Axel Springer Manager hat er die Disruption in der Medienbranche hautnah miterlebt und für seinen Arbeitgeber über Jahre hinweg Lösungen aus dem Dilemma gesucht und implementiert. Mit dem Ergebnis, dass heute vier Fünftel des operativen Gewinns des Medienkonzerns digital sind. Seine Erkenntnisse und Erfahrungen . passen nicht bloss auf die Medienbranche und nicht nur auf Deutschland, sondern eins-zu-eins auch auf die Schweiz und auf andere Traditionsbranchen. Insofern also auch auf die hiesige IT-Industrie.

Meine jüngste Erfahrung mit Disruption ist vergleichsweise banal. Seit wenigen Tagen saugt bei uns "Linda II". Vollautomatisch und – vor allem unter den Betten, in den Ecken und unter Tischen und Sofas – wesentlich gründlicher als bisher. Bis an Ostern wussten wir noch gar nicht, dass wir dringend einen Roboterstaubsauger brauchen. Eher zufällig sahen wir beim Osterbrunch mit der Familie ein solches Teil und fragten mehr gelangweilt als aus echtem Interesse, wie gut es funktioniert. Die darauf angestimmte Lobeshymne des Gastgebers sowie ein tolles Spezialangebot taten anschliessend das ihrige und wir bestellten "Linda II".

Mit durchschlagendem Erfolg saugt "sie" jetzt unsere Wohnung auf drei Etagen und wird künftig einen Teil der Arbeit unserer "echten" Putzfrau Linda völlig selbständig erledigen. Nicht, dass Linda aus Fleisch und Blut nun keinen Job mehr bei uns hätte. Aber, entweder sie erweitert ihr Tätigkeitsfeld auf andere Reinigungsbereiche (z.Bsp. häufiger Fenster putzen etc.) oder wir benötigen sie pro Woche eine Stunde weniger lang. Noch hat die Disruption unsere Putzkraft nicht erschlagen, sie hat sich aber schon mal in Stellung gebracht.

Disruption ist also kein Schlagwort, sondern lauert überall und schlägt auch dann zu, wenn man sie gar nicht erwartet. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass sie primär etablierte Unternehmen erschlägt. Solche, die sich kaum mehr vorstellen können, dass es auch anders gehen könnte. "Weiter wie bisher" ist in keinem Fall eine Option.

Wie ich bereits im November 2015 unter dem Titel "Wer sein Geschäft wirklich kennt, wird auch mit Cloud Computing und Disruption fertig" behauptete, gibt es dagegen nur ein Rezept. Die mentale Loslösung von Produkten, Verfahren und Technologien und stattdessen eine Ausrichtung auf ein klar definiertes Kundenproblem. Der einzige Gradmesser für das eigene Leistungsangebot ist anschliessend nur noch das, was einen klaren Mehrwert zur Lösung des Kundenproblems beiträgt. Was der Lösung dient, ist gut und richtig, was ihr nicht dient, ist schlicht überflüssig.

Allerdings, auch wer sich mit seinem Unternehmen richtigerweise auf ein klar definiertes Kundenproblem ausrichtet, kommt dennoch nicht um die digitale Transformation herum. Zur erfolgreichen Digitalisierung gehören drei zentrale Bestandteile, sagt Keese aus seinen Disruptions-Erfahrungen der letzten Jahre: Strategie, Umsetzung und Kulturwandel.

Erstens eine präzise Ausarbeitung der Strategie auf der Grundlage aller verfügbaren Daten und Informationen. Als Gradmesser für die Effektivität der Strategie gilt auch hier wieder: Leistet sie einen wesentlichen Beitrag zur Lösung des Kundenproblems? Wenn nein, so muss sie revidiert werden.

Zweitens braucht die Strategie ihre passgenaue Umsetzung. Dazu gehören der Aufbau neuer wertschöpfender Geschäftsfelder (oder auch neuer Firmen), das geschickte Kooperieren und Eingehen von strategischen Partnerschaften und die laufende und zielgerichtete Suche nach besseren Mitteln zur Problemlösung, oder wie Keese sagt, das zielgerichtete Investieren in Innovatoren. Daraus entstehen dann oft radikal neue Technologien, Produkte und Lösungen.

Drittens braucht es in nahezu allen Fällen einen fundamentalen Wandel der Unternehmenskultur. Wie ich schon in meiner letzten Kolumne "Ohne Cultural Change kein Digital Change" behauptete, entscheidet sich der Erfolg der Digitalisierung am Ende genau da.

Die zentrale Frage ist daher nicht, ob wir in unserem angestammten Business disruptiert werden, sondern bloss wann. Das gilt uneingeschränkt auch für die digitale Treiberindustrie, die IT. Wenn auch etwas später als für die Medienbranche, die Druckindustrie, die Papierindustrie und andere.

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