Gleich ein­gangs zu mei­ner Eh­ren­ret­tung: Den leicht mor­bi­den Ti­tel hat mir Chris­toph Hu­gen­schmidt für mein Re­fe­rat am In­si­de Chan­nels Fo­rum vom 26. Ja­nu­ar 2017 in Aar­au aufs Au­ge ge­drückt. Ich hät­te ihn zwar än­dern kön­nen, mir fiel aber ehr­lich ge­sagt auch kein bes­se­rer ein.

Wenn ich al­so in der Fol­ge schon von «Tod­sün­den» spre­che, dann führt die Be­ge­hung die­ser kon­se­quen­ter­wei­se über kurz oder lang in den Un­ter­gang. Und zwar, je mehr Tod­sün­den gleich­zei­tig be­gan­gen wer­den, des­to schnel­ler wird der Tod auch ein­tre­ten.

Statt von Tod­sün­den könn­te ich al­ler­dings auch von «Grund­irr­tü­mern» spre­chen. Denn vie­le der fol­gen­den Tod­sün­den wer­den nicht sel­ten mit der bes­ten Ab­sicht be­gan­gen, ge­nau das Rich­ti­ge zu tun. Näm­lich das, was «Sta­te of the Art» ist, was «Best Prac­tice» und «Bench­mar­king» ent­spricht und das, was al­le an­de­ren eben auch tun.

Ich bin hin­ge­gen da­von über­zeugt, dass wir in ei­ner Zeit grund­le­gen­den Wan­dels le­ben, in wel­cher vie­les, wenn nicht gar al­les neu ge­dacht und auf den Prüf­stand ge­stellt wer­den muss. Vor al­lem gilt dies für die Art und Wei­se, wie wir un­se­ren Un­ter­neh­men füh­ren.

Tod­sün­de Num­mer 1: Die Aus­tausch­bar­keit un­se­rer Pro­duk­te und Dienst­leis­tun­gen, wenn nicht gar die Aus­tausch­bar­keit un­se­rer gan­zen Un­ter­neh­men

Sie füh­len sich mit Ih­rem Un­ter­neh­men na­tür­lich nicht aus­tausch­bar, das ist mir schon klar. Im Ge­gen­teil, Sie be­trach­ten Ih­re Fir­ma mit Ih­ren Mit­ar­bei­tern und al­len Ih­ren tol­len Pro­duk­ten und Lö­sun­gen als ab­so­lut ein­zig­ar­tig. Ich muss Sie aber ent­täu­schen. Ih­re Kun­den – und vor al­lem die­je­ni­gen, die noch nicht Ih­re Kun­den sind – se­hen das völ­lig an­ders. Für die­se ist Ihr Un­ter­neh­men ein­fach ei­nes von vie­len, wel­che al­le die glei­chen Pro­duk­te ver­kau­fen, die glei­chen Lö­sun­gen an­bie­ten und die glei­chen Pro­jek­te um­set­zen.

Das hat viel da­mit zu tun, dass wir ge­lernt ha­ben, uns pri­mär mit an­de­ren zu ver­glei­chen, uns dar­an zu ori­en­tie­ren und dann vie­les zu ko­pie­ren und nach­zu­ma­chen. Da­mit be­stär­ken wir al­ler­dings un­se­re Kun­den in ih­rer Über­zeu­gung, dass wir als Un­ter­neh­men eben doch aus­wech­sel­bar sind. Wenn dann un­se­re Web­site auch noch plus-minus so aus­sieht, wie die al­ler Mit­be­wer­ber, bloss in Oran­ge und uns kein ge­schei­te­rer Fir­men­na­me wie «ABC So­lu­ti­ons AG» oder «XYZ IT Net­work AG» ein­fällt, dann dür­fen wir uns nicht wun­dern, wenn nie­mand so klar sa­gen kann, wie­so bei uns ge­kauft wer­den soll­te. Wenn wir die­se zen­tra­le Fra­ge auch für uns selbst nicht schlüs­sig be­ant­wor­ten kön­nen, dann ste­hen wir lang­fris­tig ge­se­hen be­reits mit ei­nem Bein im Grab.

Tu­gend­haft ist hin­ge­gen die in­ten­si­ve Su­che nach un­se­rer Ein­zig­ar­tig­keit. Und zwar ei­ner Ein­zig­ar­tig­keit, die auch für un­se­re Kun­den sicht­bar und re­le­vant, so­ge­nannt «kauf­ent­schei­dend» ist. Ich ge­be zu, das ist an­stren­gend und kos­tet Zeit und En­er­gie. Sie ist aber das ein­zi­ge nach­hal­ti­ge Mit­tel, um den Wett­be­werb für gleich­ar­ti­ge Leis­tun­gen auf ein Mi­ni­mum zu re­du­zie­ren und da­mit ge­sun­de Mar­gen und Wachs­tum si­cher zu stel­len.

Tod­sün­de Num­mer 2: Un­se­re Technologie-Gläubigkeit

Nie­mand be­strei­tet, dass wir pri­mär Tech­no­lo­gie ver­kau­fen und da­bei auch sehr stark von ihr ab­hän­gig sind. Und auch nie­mand be­strei­tet, dass wir für un­se­re Pro­jek­te Tech­no­lo­gie zur Um­set­zung brau­chen, sind wir doch in der sprich­wört­li­chen «In­for­ma­ti­on Tech­no­lo­gy» zu Hau­se.

Die Sa­che ist bloss, dass un­se­re Kun­den bei ih­rer Kauf­ent­schei­dung im­mer we­ni­ger tech­no­lo­gie­ge­trie­ben sind, son­dern sich viel­mehr für den dar­aus für sie ent­ste­hen­den Nut­zen (meist in Fran­ken und Rap­pen) in­ter­es­sie­ren. Das soll so­gar – so ha­be ich mir sa­gen las­sen – mitt­ler­wei­le für den ei­nen oder an­de­ren CIO so sein ;-).

In der Kon­se­quenz be­deu­tet das, dass wir uns – we­nigs­tens men­tal – von den vie­len tol­len Pro­duk­ten «Fire­wall XYZ», «Switch ABC» oder «Hy­per CRM Schlag­mich­tot» ver­ab­schie­den und uns mehr mit den Nut­zen­vor­tei­len be­schäf­ti­gen soll­ten. Ge­ra­de für Chan­nel­part­ner, die oft eh kei­ne ei­ge­nen Pro­duk­te her­stel­len, muss das das Ge­bot der Stun­de sein. Ich bin voll­kom­men über­zeugt, spe­zi­ell im B2B-Geschäft: Wer er­kennt, dass Tech­no­lo­gie fast im­mer nur Mit­tel zum Zweck ist, lebt we­sent­lich ent­spann­ter, län­ger und pro­fi­ta­bler.

Tod­sün­de Num­mer 3: Ma­nage­ment by Num­bers

Die­se Manager-Volkskrankheit hat lei­der auch bei vie­len KMU-Firmen Ein­zug ge­hal­ten. Glück­li­cher­wei­se ist den KMU-Chefs «Ma­nage­ment by Num­bers» in letz­ter Kon­se­quenz aber oft viel zu müh­sam und zu ein­engend, so dass zwar of­fi­zi­ell dran fest­ge­hal­ten wird, in­of­fi­zi­ell aber die Bud­gets und Zah­len ei­ne Ne­ben­rol­le spie­len.

Ich ken­ne ers­tens kein Un­ter­neh­men, wel­ches al­lei­ne auf­grund sei­ner Zah­len­gläu­big­keit und den da­mit ver­bun­de­nen Zah­len­fried­hö­fen lang­fris­tig und nach­hal­tig er­folg­reich wur­de (es sei denn, es hat sich «ge­sund­ge­spart», was aber meis­tens nicht mehr als ei­ni­ge we­ni­ge Jah­re lang funk­tio­niert), und zwei­tens lässt sich die Zu­kunft oh­ne­hin nicht (mehr) vor­aus­be­rech­nen.

Die Al­ter­na­ti­ve – oder we­nigs­tens das ent­schei­den­de Kor­rek­tiv da­zu – ist ein kon­se­quen­tes «Ma­nage­ment by Vi­si­ons». Wo­hin soll un­se­rer Rei­se ge­hen, wel­chen ein­zig­ar­ti­gen Nut­zen wol­len wir für un­se­re Kun­den er­brin­gen, wel­chen tie­fe­ren Sinn ver­fol­gen wir mit un­se­rer Fir­ma und wel­chem Leucht­turm möch­ten wir fol­gen? Die­se und ähn­li­che Fra­gen sind es, wel­che Mit­ar­bei­ter lang­fris­tig bei der Stan­ge hal­ten und zu Höchst­leis­tun­gen mo­ti­vie­ren. Nicht die Bonus-Karotte in Form von halb­ga­ren Bud­gets.

Tod­sün­de Num­mer 4: Di­gi­ta­li­sie­rung ist et­was für un­se­re Kun­den, nicht für uns

Oft ge­win­ne ich den Ein­druck, dass sich vie­le IT-Unternehmen sa­gen, «wir sind ja in der IT tä­tig und so­mit au­to­ma­tisch di­gi­ta­li­siert. Wir müs­sen für uns al­so nichts mehr zu­sätz­lich un­ter­neh­men, son­dern kön­nen uns voll und ganz auf die Di­gi­ta­li­sie­rung un­se­rer Kun­den kon­zen­trie­ren und da­mit gu­tes Geld ver­die­nen.»

Nicht, dass Zwei­te­res falsch wä­re, im Ge­gen­teil, es ist das ak­tu­el­le Ge­schenk Got­tes an die gan­ze IT-Welt. Aber der ers­te Teil der obi­gen Aus­sa­ge ist na­tür­lich Quatsch, und je­der weiss es. Wenn dem aber so ist, wie­so ha­ben dann so vie­le IT-Buden ih­re lie­be Mü­he mit der An­er­ken­nung von sich schon lan­ge durch­ge­setz­ten Trends wie «Cloud», «di­gi­tal Mar­ke­ting» oder der Nut­zung von So­ci­al Me­dia Platt­for­men für ihr Mar­ke­ting und ih­re Image-Bildung?

Tod­sün­de Num­mer 5: In­no­va­ti­on ist Sa­che von HP, Cis­co, Le­no­vo und Kon­sor­ten

Die­ser Tod­sün­de liegt ei­ner­seits die oben schon er­wähn­te Technologie-Gläubigkeit zu­grun­de, an­de­rer­seits de­gra­diert sie die Rol­le des Chan­nel­part­ners auf die ei­nes «dum­men» und «nai­ven» Aus­füh­ren­den, was wie­der­rum die Aus­tausch­bar­keit för­dert und da­mit den Kon­kur­renz­kampf zu­sätz­lich be­feu­ert.

Das Ge­gen­teil ist na­tür­lich wahr. Ge­ra­de Chan­nel­part­ner oh­ne ei­ge­ne Pro­duk­te müs­sen sich in­no­va­tiv ins Zeug le­gen und lau­fend bes­se­re Mit­tel und We­ge fin­den, um ih­ren Kun­den ei­nen noch bes­se­ren Mehr­wert bie­ten zu kön­nen. Sie fin­den hier ein wei­tes Be­tä­ti­gungs­feld vor, in wel­chem sie sich «an­ge­nehm an­ders» von an­de­ren Mit­be­wer­bern un­ter­schei­den und da­mit ih­re Ein­zig­ar­tig­keit auf­bau­en kön­nen.

Tod­sün­de Num­mer 6: Macht­kon­zen­tra­ti­on bei „Super-Managern“

Un­ser Busi­ness wird im­mer ver­netz­ter, schnel­ler und un­vor­her­seh­ba­rer. Die Kom­ple­xi­tät nimmt da­bei sprung­haft zu, nie­mand stellt das mehr in Fra­ge. Da­mit ein­her geht aber auch, dass die Un­ter­neh­mer und Füh­rungs­kräf­te in un­se­ren Un­ter­neh­men die Trag­wei­te ih­rer Ent­schei­dun­gen im­mer we­ni­ger ab­schät­zen kön­nen, sind sie doch gar nicht in der La­ge, al­le re­le­van­ten Fak­to­ren auch nur ei­ni­ger­mas­sen zu ken­nen und zu be­ur­tei­len.

Als Kon­se­quenz da­von müs­sen wir uns mit dem Ge­dan­ken an­freun­den, die Ge­stal­tungs­macht im Hin­blick auf Or­ga­ni­sa­ti­on und Füh­rung un­se­rer Fir­ma suk­zes­si­ve in der gan­zen Be­leg­schaft zu ver­tei­len. Ge­leb­te Par­ti­zi­pa­ti­on bis hin zu Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und Selbst­füh­rung sind Kon­zep­te, die un­se­re Un­ter­neh­men für das Be­stehen in ei­ner im­mer kom­ple­xe­ren und un­vor­her­seh­ba­re­ren Zu­kunft drin­gend brau­chen.

Tod­sün­de Num­mer 7: Filz ver­kauft

Als häu­fi­ger Be­su­cher in der deut­schen IT-Szene – wo die­se Tod­sün­de we­sent­lich sel­te­ner be­gan­gen wird – muss ich lei­der auch dar­auf hin­wei­sen.

So wei­se ich auf ei­ne – ich mei­ne ty­pi­sche – Schwei­zer Ei­gen­art im IT-Business hin, die stark mit un­se­rem «Da­sein auf der In­sel der Glück­se­li­gen» zu­sam­men­hängt: Man muss bloss die rich­ti­gen Leu­te ken­nen, dann macht man sein Busi­ness. Oder an­ders aus­ge­drückt: Be­zie­hung geht uns klar vor Kom­pe­tenz.

Wenn mei­ne Fest­stel­lung wirk­lich so un­ge­heu­er­lich ist, wie ich selbst oft den­ke, dann wä­re aber zwin­gend zu klä­ren, wie­so wir in den Bun­des­äm­tern, in den Kan­to­nen und Ge­mein­den stän­dig mit IT-Projekten zu tun ha­ben, die in­fol­ge Filz und Kor­rup­ti­on fi­nan­zi­ell völ­lig aus­ar­ten, wenn nicht so­gar ge­stoppt wer­den müs­sen.

Ich plä­die­re nicht für die Ab­schaf­fung von Filz und Be­zie­hungs­ma­nage­ment. Da­für spielt auch in der IT die «Che­mie» ei­ne viel zu wich­ti­ge Rol­le. Aber ich bin sehr da­für, dass wir den prak­ti­zier­ten Filz (im po­si­ti­ven Sin­ne) mit ei­ner ho­hen fach­li­chen und stra­te­gi­schen Kom­pe­tenz un­ter­mau­ern. Denn nur das wird ein wirk­sa­mes Mit­tel sein, um dem stei­gen­den Wett­be­werbs­druck von aus­ser­halb un­se­res Schwei­z­er­lan­des et­was ent­ge­gen set­zen zu kön­nen.

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